Es ist ja nicht so, dass einfach alles schlecht ist. Es ist aber so, dass einfach nicht alles rund läuft, und dass darüber auch geredet oder geschrieben werden sollte.
Es ist also an der Zeit, der alten Rubrik Vom Stand der Dinge neues Leben, neue Vitalität zu verschaffen. Deshalb auch steht der Name dieser Rubrik Pate für den neuen Blog, der so neu eigentlich nicht ist. Nun, mit The Web Herald ist wieder einmal eine neue Domain zur Welt gekommen, was natürlich auch seine Gründe hat. Die frühere Topleveldomain, .de, ist verschwunden.
Noch immer ist das Ganze eine deutschsprachige Seite, es geht letztlich auch hauptsächlich um den Stand deutscher Dinge und Eigentümlichkeiten, aber eben auch um Information, und sei sie noch so subjektiv. Zudem, und da sind wir schon beim Thema, hat die deutsche Judikative ja so ein etwas gespanntes Verhältnis zu den digitalen Medien und deren Nutzung, vor allem durch Privatleute mit ihren Meinungen zur Zeitgeschichte.
Da macht sich der Deutsche Michel Sorgen um den Bildungsstand der neuen Generationen, sicher nicht unberechtigt, Lesen und Schreiben sollen sie ja schon können, die Landsmänner (und -frauen) von Goethe und Schiller. Aber dann zur Feder greifen wollen oder zu Tastatur und Maus und diese neuen Medien dann auch nutzen, so ganz vorbei an Parteigremien und Ortsvorständen? – Nunja.
Also her mit solchen Regularien wie der Nutzungshaftung des eigenen WLANs durch Dritte. Ok, ok, soll ja jetzt abgeschafft werden. Wieso aber wurde es überhaupt erst in die Welt gesetzt? Wieso musste eine privat finanzierte, kostenfrei für Dritte zur Verfügung gestellte Infrastruktur wie der Zugang zum Internet, überhaupt erst reglementiert werden, während der freie Zugang zum Netz in Kneipen, Cafes oder Frittenbuden keine Haftungsfolgen für den jeweiligen Anbieter zur Folge hat? Da surft also der Nachbar auf meinem WLAN (wenn es denn offen wäre), und ich soll haftbar sein für die von ihm genutzten – möglicherweise halbseidenen oder gar illegalen – Inhalte? Sippenhaft fällt mir da doch spontan beim Schreiben ein.
Und dann die Sache mit dem Impressum. Diese unzähligen Seiten mit ihren Terabytes an Wissen, Meinung, intelligenten Beiträgen oder stumpfen Stammtischgedröhne – sei’s drum. Das ist Meinungsfreiheit. Und zur eigenen Meinung stehen ist ja auch so eine Tugend. Treffen Meinungen, öffentlich kommuniziert, auf die geliebten Zeitgenossen, so folgt entweder Zustimmung, Gleichgültigkeit oder Ablehnung. Nur, und jetzt wird’s kantig, erzeugt nicht jede fragwürdige These eine argumentativ untermauerte Auseinandersetzung, folgt nicht notwendigerweise eine Diskussion, ein Diskurs sondern mitunter ein Diskus.
Der Zwang zum Impressum, zur Preisgabe der eigenen Adresse, will heutzutage eben wohl überlegt sein, zumindest für den Privatmann mit seiner Privatmeinung.
Der Staat Ohio hat das feinsinnig erkannt:
Nach deutschem Recht braucht praktisch jede Webseite ein Impressum, nach US-amerikanischem Recht ist eine derartige Verpflichtung allerdings verfassungswidrig. Interessant hier ein paar Zeilen aus dem Urteil “Joseph McIntyre, executor of estate of Margaret McIntyre, deceased, Petitioner v. Ohio Elections Commission”:
“Under our Constitution, anonymous pamphleteering is not a pernicious, fraudulent practice, but an honorable tradition of advocacy and of dissent. Anonymity is a shield from the tyranny of the majority. See generally J. S. Mill, On Liberty, in On Liberty and Considerations on Representative Government 1, 3-4 (R. McCallum ed. 1947). It thus exemplifies the purpose behind the Bill of Rights, and of the First Amendment in particular: to protect unpopular individuals from retaliation–and their ideas from suppression–at the hand of an intolerant society. The right to remain anonymous may be abused when it shields fraudulent conduct. But political speech by its nature will sometimes have unpalatable consequences, and, in general, our society accords greater weight to the value of free speech than to the dangers of its misuse. See Abrams v. United States, 250 U.S. 616, 630-31 (1919) (Holmes, J., dissenting). Ohio has not shown that its interest in preventing the misuse of anonymous election related speech justifies a prohibition of all uses of that speech. The State may, and does, punish fraud directly. But it cannot seek to punish fraud indirectly by indiscriminately outlawing a category of speech, based on its content, with no necessary relationship to the danger sought to be prevented. One would be hard pressed to think of a better example of the pitfalls of Ohio’s blunderbuss approach than the facts of the case before us.”
Die freie Rede, also tatsächlich gelebte Meinungsfreiheit hat prinzipiell auch Konsequenzen durch eine intolerante Gesellschaft. Die Gefahr des Missbrauchs der anonymen Rede rechtfertigt also lange nicht das prinzipielle Verbot einer solchen. Der deutsche Michel hat hier – wieder einmal – jedes Augenmaß verloren. Die Ausübung eines im Grundgesetz verbrieften Rechtes wird durch durch den Zwang zu einem Impressum de facto unter Generalverdacht gestellt. Es führt die angeblich so hoch gepriesene Meinungsfreiheit ab absurdum. Es wird zum Erpressum.
Das mag für Rezeptsammlungen angehen und für Fitnesstips oder Bastelseiten; aber für Inhalte, die über reines Faktensimplen hinausgehen, wird es grenzwertig. Irgend jemand wird sich immer auf die Füße getreten fühlen.
Oftmals wird der dieser Zwang auf ein Erpressum mit dem Hinweis auf eine ladungsfähige Adresse begründet. Natürlich ist hier wieder die Furcht vor Mißbrauch anonymer Meinungsäußerung als Nachklang zu vernehmen. Abgesehen von solchen gesetzlich zementierten Vorurteilen ist eine sogenannte ladungsfähige Adresse auch ohne ein Erpressum immer gegeben, und zwar durch eine Anfrage an den Provider. Hier würde dann auch gleich dem deutschen Datenschutz, ebenfalls ein ansonsten vom Deutschen Michel hochgelobtes Rechtsgut Genüge getan: Auskunftserteilung nur bei berechtigtem Interesse.
Überall, bei Telefonauskünften, sogar beim Einwohnermeldeamt selbst ist ein Ein- bzw. Widerspruch gegen die allgemeine Weitergabe oder Veröffentlichung der Privatadresse möglich.
Gemäß der aktuellen Gesetzeslage unterliegen diese hochprivaten Adressdaten eines Webseitenautors keinerlei Kontrolle; laden zur mißbräuchlichen Nutzung geradezu ein.
Wo bleibt hier der Datenschutz? Der Schutz vor Mißbrauch?